Westfalens große Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) kannte Bellersen sehr gut. Ihre Mutter war eine geborene von Haxthausen und stammte aus dem Schloss Bökerhof im benachbarten Bökendorf.

Mehrmals zwischen 1805 und 1820 besuchte Annette ihren Großvater Werner Adolf von Haxthausen und ihre Stiefgroßmutter Marianne (ihre leibliche Großmutter war im Alter von 18 Jahren gestorben) auf dem Bökerhof.

In den Jahren zwischen 1837 und 1845 hielt sie sich mehrfach längere Zeit auf der nahen Abbenburg bei ihrem Stiefonkel Fritz von Haxthausen auf. Da Abbenburg und Bökendorf zur Kirchengemeinde Bellersen zählten, besuchte die Droste hier regelmäßig den Gottesdienst.

Alle genannten Mitglieder der Familie von Haxthausen haben ihre letzte Ruhe an der Kirche in Bellersen gefunden. Eine Namenstafel weist heute auf ihr Grab in. Bei ihren Aufenthalten auf dem Bökerhof lernte die Dichterin die wahre Geschichte eines Bauernsohnes aus Bellersen kennen, der einen jüdischen Händler erschlagen hatte und sich durch Flucht vor der Strafverfolgung retten konnte.

Nach einigen Zwischenstationen war er schließlich in nordafrikanische Sklaverei geraten, woraus er endlich durch glückliche Umstände frei kam. Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr nach Bellersen setzte er seinem Leben selbst ein Ende. Das abenteuerliche Leben dieses Mannes hatte August von Haxthausen (Onkel der Droste, Agrarhistoriker, Rußlandforscher, in Bellersen beerdigt) 1818 als Tatsachenbericht veröffentlicht. Annette von Droste-Hülshoff schuf aus dem Stoff ihre zuerst 1842 erschienene Novelle „Die Judenbuche“, die sich in vielem allerdings weit von der Realität entfernt und daher als völlig eigenständiges literarisches Werk zu betrachten ist. Da sich ein wesentlicher Teil der historischen Vorlagen der „Judenbuche“ in Bellersen und in der unmittelbaren Nachbarschaft abgespielt hat, sind die entsprechenden Örtlichkeiten heute noch leicht aufzusuchen und haben vielfach ihr Aussehen kaum verändert. Zur groben Orientierung über den Verlauf der historisch verbürgten Ereignisse seien im folgenden die hauptsächlichen Fakten zusammengestellt.

 

August 1764
Hermann Georg Winkelhan wird in einem Haus am Südende des Dorfes Bellersen (heute Zum Mühlengrund 4) als dritter Sohn und viertes Kind geboren.

22. August 1764
Hermann Georg wird in der Pfarrkirche getauft.

Herbst 1782
Hermann Georg Winkelhan arbeitet als Knecht in Ovenhausen. Bei dem Ovenhausener Handelsjuden Soistmann Berend bezieht er Stoff für ein Hemd. Über den Kauf kommt es zu ernsten Meinungsverschiedenheiten.

10. Februar 1783
Vor dem für Bellersen und damit auch für Winkelhan zuständigen von Haxthausen'schen Patrimonialgericht findet zur Entscheidung des Streites eine Verhandlung statt. Soistmann Berend kann die Rechtmäßigkeit seiner Forderung beweisen. Winkelhan unterliegt. Nach dem Gerichtstermin tätigt Soistmann Geschäfte in Bellersen und Bökendorf. Am Abend dieses Tages lauert Winkelhan dem Juden auf dessen Rückweg nach Ovenhausen im Ostertal, einem Waldrevier zwischen Bökendorf und Ovenhausen, auf und erschlägt ihn.

Zwei Tage später
Jente, die Frau Soistmann Berends, macht sich auf den Weg nach Bökendorf, um nach dem Verbleib ihres Mannes zu forschen. Durch eine Blutspur auf dem Weg aufmerksam geworden, findet sie die in ein Gebüsch gezerrte Leiche. Da wegen der Vorgeschichte der Tatverdacht sofort auf Winkelhan fällt, soll er verhaftet werden. Winkelhan kann sich jedoch verstecken, so dass er nicht entdeckt wird. Bei Dunkelheit gelingt ihm die Flucht über den Papenkamp (heute Wohnmobilhafen) und den Strickberg (Bereich des heutigen Feriendorfes) Richtung Westen.

Aufenthalt in den Niederlanden
Von Bellersen flieht Winkelhan nach Holland. Dann muss er weiter in die Wallonie gezogen sein denn dort lässt er sich offensichtlich als Söldner für ein spanisches Regiment anwerben.

Aufenthalt in Nordafrika
Der Soldat Winkelhan wird in Nordafrika, in Oran, stationiert. Von dort desertiert er (wahrscheinlich 1785) und begibt sich mit der Hoffnung auf Freikauf oder Freilassung freiwillig in algerische Sklaverei. Er hat zunächst Glück und steigt als Sklave in die Position des Haushofmeisters des Wesirs Hassan auf.

Frühjahr 1788
Beim Fürstbischof in Paderborn kommt ein Brief Winkelhans aus Algier an. Winkelhan bittet den Landesherrn darin, ihn freizukaufen, hat jedoch als mutmaßlicher Mörder keinen Erfolg.

26. Mai 1788
Wesir Hassan fällt in Ungnade und wird gehenkt. Seine Sklaven und damit auch Winkelhan gehen in Staatsbesitz über. Winkelhan muss nun schwer arbeiten und wird dabei wahrscheinlich zum Krüppel.

August 1805
Jerôme, der Bruder Napoleons, kauft in Algier 230 direkte oder indirekte französische Untertanen aus der algerischen Sklaverei frei. Darunter befindet sich auch der als Wallone (und damit seit 1795 als Franzose) betrachtete Hermann Georg Winkelhan.

April 1806
Winkelhan kehrt in seinem Heimatort Bellersen zurück. Eine Strafverfolgung findet nicht mehr statt.

Sommer 1806
Winkelhan schlägt sich als Bettler durch. Insbesondere hält er sich oft in Driburg auf, wo er den Kurgästen seine (wohl geschönte) Lebensgeschichte erzählt.

Anfang und Mitte September 1806
Die Kursaison ist beendet. Winkelhan steht vor der Frage, wie er den Winter überstehen soll. Der Freiherr von Haxthausen , auf dessen Schloß Bökerhof Winkelhan gerne als Knecht gedient hätte, weist ihn ab. Winkelhan, von Zukunftsangst ergriffen, ist verzweifelt. Er irrt zwei Tage umher und erhängt sich schließlich im Kleinen Kiel, einem Waldstück an der heutigen Einmündung der Straße von Albrock in die Ostwestfalenstraße.

18. September 1806
Hermann Georg Winkelhan wird auf dem Friedhof an der Bellerser Kirche begraben. Dort ruhen seine Gebeine an unbekannter Stelle noch heute.

 

 

Schon gewusst?

Im März 1992 begann die Deutsche Bundesbank mit der Ausgabe neuer Zwanzigmarkscheine. Es wurden Porträts als Hauptmotiv festgelegt, die „Kopfbildnisse von Persönlichkeiten der deutschen Geschichte aus den Bereichen Kunst, Literatur, Musik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik" darstellen. Außerdem sollte die Rückseite in Verbindung zu der auf der Vorderseite abgebildeten Person stehen. Für den 20 DM-Schein wurde Annette von Droste-Hülshoff ausgewählt.

20 deutsche mark

Im Hintergrund der Vorderseite sind historische Gebäude der Stadt Meersburg, wo sie zeitweilig wohnte, zu sehen sowie ein Lorbeerzweig. Auf der Rückseite sind eine Schreibfeder, eine Buche sowie ein stilisiertes aufgeschlagenes Buch als Hinweis auf die Novelle "Die Judenbuche" zu sehen.

Somit trugen Millionen Bundesbürger und Bürgerinnen, bewußt oder unbewußt, viele Jahre ein Stück Bellersen in der Tasche.